Pizza-Mahnung

2113. Die Ernährungsberater sind ausgestorben. Der Mensch ist Vegetarier, Veganer, aber auch der Kannibalismus hat sich bemerkbar gemacht. Die Auswahl an Nahrung hat sich in den letzten 20 Jahren stark verändert. Die Wissenschaft und Forschung sind nur auf eines ausgerichtet; auf Profit. Es wird immer mehr produziert. Große Mengen, mit Zusatzstoffen und Fetten, die Menschen süchtig machen. Um mehr zu kaufen. Adipöse Menschen sind auf der Straße zu sehen, groß und klein. Anzüge von Armani, Gucci, Yves Saint Lauren, werden nur ab XXL-Größen produziert. Läden für Normalgewichtige gibt es kaum mehr. Kein Geschäft mehr. Es lohnt sich für die Wirtschaft nicht mehr. Alles nur in große Mengen. Das bringt Geld. Viel Geld. Doppel so viel.

In einem Raum im neunten Stock sitzt er auf einem viel zu kleinen Stuhl und surft im Internet, Facebook und Co. Er lässt sich von nichts und niemandem ablenken. Sein Kopf ist riesig, die Augen kaum sichtbar, mit dünnen Lippen. Sein Kinn hängt nach unten, sieht aus wie die Haut einer Schlange. Der Mann ist viel zu groß. Sein Körper bedeckt alles rund um sich. Er trägt eine Sport-Jacke mit Kapuze, die eng auf seinem Körper sitzt. Da würden drei übergewichtige Kleinkinder reinpassen. Beobachtung. Seine Beine sehen aus, wie eine mit Wasser gefüllte Luftmatratze. Am Ultraschallbild kaum zu sehen, das Herz von Fett bedeckt pumpt nur noch langsam. Er ist immer hungrig. Er nimmt sein Telefon und wählt. „Pizzeria HAB KEIN SCHLECHTES GEWISSEN einen schönen guten Tag. Was darf es denn sein?“

Leise sagt er seine Wahl, die er schon seit Stunden, in seinem Stuhl sitzend, überlegt hat: „Eine Pizza mit Blutwurst, Extra Käse, Kokosnuss und Schinken. Das ist alles.“ Der Sprach-Roboter nimmt die Bestellung entgegen: „Wo soll die Bestellung hingebracht werden?“ Bitte in die NAMENLOSEN-STRASSE 81.

Er legt sein Telefon weg und schläft wenige Minuten später ein. Es klingelt an der Tür, die Pizza ist schon da. Zwei attraktive Damen, mit halterlosen Strümpfen und High Heels stehen vor ihm, in der Hand eine riesige Pizza haltend. “Alles Gute zum Geburtstag du fetter Sack“. Du hast eine Pizza in der Lotterie gewonnen!“ Ein Albtraum. Kurz eingenickt macht er die Augen auf und merkt, dass es nur ein Traum war. Erleichtert versucht er aus seinem Bett hochzukommen aber vergeblich. Sein Körper ist viel zu schwer und so versinkt er wieder in tiefen Schlaf.

Wie durch ein Wunder hat die Menschheit überlebt. Aber der Mensch wird keine 100 Jahre alt, denn er besteht nur aus Teig und Mehlprodukten. Täglich wird er von riesengroßen Pizzalieferanten und Fertigprodukten beliefert. Menschen nehmen Kredite auf, um die Rechnungen von Großhandels Lieferanten zu bezahlen. Bitte in die NAMENLOSEN-Straße 81.

Die Brille ist etwas angelaufen. Hier geht’s entlang. Der Pizzabote steht vor dem Haus. Wie aus dem Nichts geht die Türe auf. Der Pizzabote schaut sich die Listen an der Wand an und sucht Nr. 81. Da ist es, im neunten Stock. Die Lifttüre mit durchsichtigen Glastüren geht auf. Er tritt ein, Yoga-Meditations-Musik kommt aus den Lautsprechern. Eine überdimensionale Welt. Der Pizzabote hält in der Hand einen Brief. Keine Anschrift zu sehen. Taste Nr. 9 für neunten Stock. Wenig später steigt er aus dem Lift und schaut sich um. Vor ihm ein großes Fenster, sonst nichts. Eine Parallelwelt. Durch das Fenster beobachtet er fasziniert das blaue Meer. Er dreht sich um. Ein heller Raum, in dem zwei nackte Frauen in einem Bett liegen. Er schaut sich die Frauen an, die ihn ständig rufen und darum bitten, wieder zurück ins Bett zu kommen. Er greift auf seine Erinnerung zurück, sieht die Video Kamera vor dem Bett stehend, die alles in der Nacht aufgenommen hat. Als er in der Tiefe des Meeres in der Nacht mit zwei Meerjungfrauen geschwommen ist. Der Bote sucht seinen Umschlag und rennt aus der Wohnung raus. „Ich muss meine Aufgabe zu Ende bringen“, sagt er zu sich. Im Lift wieder angekommen drückt er Nr. 9 für neunten Stock. Die Türe geht zu und er fährt nach oben, aber viel zu langsam. Durch die durchsichtige Lifttüre ist die Umgebung sichtbar. Stock für Stock.

In einem Stockwerk sieht er eine Frau, die schaukelt hin und her, auf einer Schaukel aus Rosen. Mit blutenden Händen hält sie sich fest, und die Dornen dringen immer tiefer in ihre Hände ein. Blutstropfen in dem weißen, frisch gestrichenen Raum. Ein Raum mit roten Rosen, Händen, Blüten und Meeresgeruch. Eine Euphorie der Düfte. Der Lift bleibt stehen, die Türe geht auf. Ein Riesendildo der Feuer spritzt, steht direkt vor dem Lift. Der Bote macht einen Schritt nach vorne und spürt, wie er von mehreren Händen reingezogen wird. Die Hölle. Teufelinnen schauen sich bei einer Pyjama- Party die neuesten Dildo-Modelle an. Sie sind beeindruckt und gleichzeitig erregt. Wo bin ich denn? Lauf so schnell du kannst über die Stiegen hinauf! Seine Gedanken. Der Lift kommt jetzt nicht mehr in Frage. Der Bote ist verwirrt. Bin ich tot? Wo ist Nr. 81? Er kann sich an nichts mehr erinnern. Die Wände lassen kein Langzeitgedächtnis durch. Er läuft die Stiegen hinauf – 7. Stock. Er läuft weiter. Den Brief hält er fest, er hat eine Mission und muss sie zu Ende bringen.

Nächstes Stockwerk. Nass. Er steckt bis zum Knie im Wasser, in einem Teich, der von Algen bedeckt ist. Leichen unter dem Wasser mit ihren blassen Gesichtern schauen durch das grüne Wasser nach oben. Eine Frau ist in dem dichten Nebel zu sehen. Eine Hexe vielleicht? Sie hält eine große Kugel in der Hand, auf der ein übergroßer Mann auf einem Stuhl schlafend zu sehen ist. Er versinkt im Moor. Langsam. Der Tod ist nahe. Er erstickt mit vollem Mund, voll von Erde, die aus seiner Nase und Ohren rauskommt. Es ist vorbei. Er stirbt. Alles ist weiß und so rein. Er weiß, dass es zu Ende geht. Die grüne Wiese, und der Nussbaum sind in großer Entfernung zu sehen. Prächtige Farben. Er schwebt über den Wolken und sieht durch die Scheibe eines Hochhausfensters im neunten Stock den schlafenden Mann auf seinem Stuhl Nr. 81.

Er erwacht. Ein Terroristenakt? Drei Wohnungen im Haus sind durch die Bomben zerstört worden, ein großes Loch ist im Haus zu sehen. Die Menschen fallen vom vierten Stock in den ersten Stock runter wie Puppen. Im Schlaf getötet. Werden sie jemals aus dem Tiefschlaf aufwachen? Einzigartig. Tief und fest.

Es klingelt an der Tür. Er erhebt sich. Mit langsamen Bewegungen geht er zur Tür, macht die Türe auf. Ein schreiender Esel mit riesigen Ohren, steht vor seiner Tür, hält einen Brief in seinem Maul. Der Mann staunt und glaubt seinen Augen nicht. Wach auf! Die Gebäudereinigung und Feuerwehr räumen gerade auf. Er hat nichts davon mitbekommen. Der Bombenanschlag. Zwei Männer mit jugoslawischer Herkunft wurden vom Magistrat beauftragt, den Boden von Staub zu saugen, Fenster zu putzen. Sie gehen langsam vorbei und schauen verwundert den Esel an, der in seinem Maul den Brief hält und vor der Türe steht. Sie schauen den schreienden Esel an und verstehen nichts.

Den Esel versteht niemand, nicht einmal seine eigene Besitzerin, die einen Stock tiefer wohnt. Von ihrer griechischen Traumhochzeit hat sie schon immer geträumt. Jetzt ist sie wahr geworden. Der Mann und seine Frau auf einem Esel hineinreitend wie Robin Hood. In einer Evangelischen Kirche reitend auf einem Esel. Von Trivago Greek Wedding online gebucht. Der Esel ist seit Tagen bei der Behörde als vermisst gemeldet. Voll mit Staub bedeckt, tiefe blutende Wunden zu sehen. Er ist verletzt, bemerkt der Mann, der vor der Türe steht. Der Esel ist der einzige Überlebende, aus dem Bombenanschlag aus dem vierten Stock. Der Stiegenbereich war am meisten von der Explosion betroffen. Der Bote verstarb mit vielen anderen Bewohnern. Über die Stiege zu gehen sei gesund. Sie leiden alle an Klaustrophobie. Jetzt übereicht der Esel tapfer als alleiniger Überlebender des Anschlags den Brief. In der letzten Sekunde wurde er selbst vom Pizzaboten im Stiegenhaus auserwählt. Sein letzter Wunsch war. Bitte an Wohnung Nr. 81 übergeben!

Er wusste ganz genau, dass der Esel ein schlaues Tier ist. „Da bist du ja mein Engel.“ Eine Frau im Badeanzug kommt in Eile direkt auf den Esel zu. Der Esel schaut die Frau an, nimmt seinen letzten Atemzug und stirbt an seinen blutenden Wunden. Der Mann traut seinen Augen nicht. In der letzten Sekunde reißt er den Brief aus dem Eselmaul heraus. Er lässt Frau und Esel vor der Türe stehen, sperrt zu und geht zu seinem Stuhl. Er setzt sich. Nimmt ein Stück von einer alten Pizza, die seit Tagen vertrocknet auf dem Tisch liegt. Dann macht er den Brief auf und liest:

Wir bedauern es zutiefst, nach 38 Jahren Zusammenarbeit, dass wir ihnen diese Mitteilung überreichen müssen. Sie waren für uns ein sehr treuer Kunde. Nehmen sie es nicht persönlich aber wir müssen ihren Pizza-Zustellvertrag kündigen. Grund: Sie haben seit mehr als drei Monate ihre Pizza Rechnungen nicht bezahlt. Sie haben selbstverständlich die Möglichkeit eine Ratenvereinbarung einzugehen oder Beschwerde einzureichen. Richten Sie diese an das Gesundheitsministerium, Buch13 Straße in Wien. Mit Freundlichen Grüßen, Ihr Team der Pizzeria

HAB KEIN SCHLECHTES GEWISSEN.